Ein Gefühl von Freiheit

Eindrücke von der franziskanischen Wanderung 2020 nach Wethen

In 2020 blieb auch die franziskanische Wanderung nicht ganz von den Einflüssen Coronas verschont. Daniel berichtet uns, dass sich auf dem Weg nach Wethen trotzdem – oder gerade deshalb – ein ganz besonderes Gefühl der Freiheit einstellte.

„Kann eine franziskanische Wanderung unter diesen Umständen stattfinden?“ Wir haben sie mit „Ja!“ beantwortet.

„Es kommt immer anders als man denkt.“ Auch diese Überlegung traf auf uns zu – allerdings nur bei den Planungen im Vorfeld: mit Wethen ein neuer Zielort, wo wir mit einer weiteren Wandergruppe zusammentreffen würden; dadurch nur zwei statt der üblichen drei Quartierssuchen; zwei Gruppenmitglieder mussten kurzfristig absagen, ein neuer Mitwanderer stieß relativ spontan noch hinzu.

Doch sobald wir unterwegs waren, fühlte es sich an wie immer. Denn ob mit oder ohne Corona: Die franziskanische Wanderung ist immer ein Sich‐Einlassen, ein Vertrauen auf Gott und die Nächstenliebe der Mitmenschen. Oder um es auf Kölsch auf den Punkt zu bringen: Et hätt noch immer jot jejange.

Erste Übernachtung in Adorf: Gemeindehaus statt Schutzhütte

Das zeigte sich gleich am ersten Abend: Von Willingen gestartet waren wir nach 23 Kilometern in Adorf gelandet. Von verschiedenen Seiten war uns der kleine Schutzhütten‐Unterstand auf dem Spielplatz etwas außerhalb des Ortes empfohlen worden, aber der war weder wirklich groß noch für die angekündigte Regennacht wasserfest oder warm.

Aber dann kam die überraschende und rettende Wendung: Der evangelische Pfarrer war gar nicht mehr im Urlaub, wie viele Einwohner uns gesagt hatten. Nein, der Pfarrer war genau vor einer Stunde wieder in Adorf angekommen. Und er entschied sofort, dass wir das Gemeindehaus beziehen durften. Im Anschluss konnten wir miterleben, dass überbordende Gastfreundschaft sich auch nicht von Corona stoppen lässt. Das Hygienekonzept der immer tagsüber stattfindenden Ferien‐Kinderbetreuung schloss weitere Nutzer des Gemeindehauses eigentlich strikt aus, wie der Pfarrer vom zuständigen Jugendarbeiter erfuhr. Lösung des Problems: Wir brachen am nächsten Morgen schon um sieben Uhr auf und unser Gastgeber desinfizierte schnell das halbe Haus, bevor die Kinder kamen. Hatten wir also schon vor sieben Uhr frühstücken müssen? Nein! Jetzt kam die vielzitierte Schutzhütte doch noch zum Einsatz – und sie lag sogar noch direkt auf der Strecke.

Das Massenhausen-Problem

Die führte uns bis zur Mittagsrast um halb zwei ins 15 Kilometer entfernte Massenhausen, ein beschauliches 500‐Seelen‐Dörfchen. Gut gestärkt konnten wir wieder aufbrechen, hatten aber das Dilemma: Wohin sollten wir gehen? Nach Norden in Richtung unseres Zielortes: problematisch, weil dort nur noch sehr kleine Orte lagen mit entsprechend unsicherer Übernachtungsperspektive. Nach Südosten in Richtung größerer Orte: problematisch, weil dann der nächste Tag streckenmäßig übermäßig lang werden würde. In Massenhausen bleiben: problematisch, weil hier überhaupt niemand auf der Straße zu sehen war, den wir hätten ansprechen können.

Und genug Verpflegung hatten wir auch nicht mehr. Während wir noch grübelten und in die Karte stierten, plötzlich die Erkenntnis und Lösung beider „Massenhausen‐Probleme“: Da vorne ist ja ein Lebensmittelgeschäft. Ein echter Tante‐Emma‐Laden! Und Tante Emma war auch sofort auf unserer Seite, versorgte uns mit Kontakten und Telefonnummern, gab uns Tipps und fieberte mit, immer wenn wir aufs Neue in den Laden kamen und noch keinen Erfolg hatten.

So dauerte es zwar insgesamt drei Stunden, ehe wir im Veranstaltungsraum des örtlichen Spielzeugmuseums ein Quartier gefunden hatten. Aber als wir dann auch endlich zum Einkaufen in den Laden kamen, wusste gefühlt das halbe Dorf über uns Bescheid und freute sich über unser Bleiben. Dieser Laden mit seiner treuen Seele ist nicht nur in puncto „Sicherung der Nahversorgung“ und „sozialer Dorfmittelpunkt“ ein Segen für Massenhausen.

Er stellte auch eine der glücklichen Fügungen dar, wie ich sie bisher bei jeder meiner immerhin schon zehn franziskanischen Wanderungen erleben durfte.

“Das ist wahres Leben!”

Diese Geschichten von der Herbergssuche sind natürlich oft die, die noch in Jahren erzählt werden. Aber für mich genauso wichtig und erfüllend ist die Zeit zwischen den Übernachtungen: die Zeit unterwegs. Sich auf den Weg machen, die Natur genießen, nicht mehr brauchen als in einen Rucksack passt. Als Gruppe zusammenwachsen: sich absprechen, aufeinander Rücksicht nehmen, vom Geld aus einer gemeinsamen Kasse leben. Wieder spüren, wie lecker und sättigend auch vermeintliche „Standardkost“ wie ein belegtes Brot ist, wenn ich es ganz bewusst schmiere und esse. Freude über gute Gespräche und schöne Begegnungen, die persönlich stattfinden und nicht auf irgendeinem Bildschirm.
Wieder merken, wie viele Nachrichten, Informationen und Reize, die ich noch vorgestern konsumierte, völlig banal sind.

So erreichten wir sehr entspannt nach weiteren gut 20 Kilometer am dritten Tag unser Ziel in Wethen, wo wir von der ökumenischen Gemeinde beherbergt wurden. Wir kochten noch einmal zusammen, tauschten uns abends mit der zweiten Franziskuskreis‐Gruppe aus, die auf anderen Wegen nach Wethen gefunden hatte. Am nächsten Morgen gingen wir dann als „Absacker“ die sechs Kilometer zum Bahnhof nach Scherfede.

Auch in diesem Jahr ist mir wieder klar geworden: Die Zeit der Wanderung ist für mich wahres Leben. Obwohl ich immer auf die Hilfe Fremder angewiesen bin, fühle ich mich unabhängig und frei. Freiheit: Ein wunderbares Gefühl, das nicht nur auf die Zeit der Wanderung zutrifft, sondern – glaube ich – auch auf Franziskus‘ Leben zutraf. Und das ich versucht habe, in Worte zu fassen: ursprünglich als Morgenimpuls während der Wanderung, jetzt auch hier online zu finden.

Daniel Griese, 20. Juli 2020