BergSichten am Gründonnerstag
In eisigen Höhen: Zwei Bergsteiger stehen kurz vor dem Ziel ihrer Träume, der Besteigung ihres ersten Achttausenders. Viele Wochen haben sie in die Vorbereitung der Expedition investiert.
Die letzten Tage haben sie mit wachsender Ungeduld im Basislager ausgeharrt und darauf gehofft, dass Wind und Schneefall aufhören. Die Zeit pressiert, dies ist die letzte Gelegenheit vor der Rückreise. Endlich öffnete sich ein Fenster – perfekte Wetterverhältnisse, um die finale Etappe zu wagen.
Schritt für Schritt geht es bergauf, die Luft wird dünn. Das Timing ist gut, ihre Erfahrung zahlt sich aus. Das Material ist zuverlässig, die Psyche stimmt. Plötzlich leidet einer der beiden an Höhenkrankheit, obwohl er noch nie Probleme damit hatte. Kurze Pause, wertvolle Zeit geht verloren, keine Besserung tritt ein, im Gegenteil.
Langsam sickert es ins Bewusstsein, dass er es nicht bis zum Gipfel schaffen wird. Beide wissen, dass es fraglich ist, ob er den Rückweg zum Basislager alleine schaffen kann. Die Stunde der Entscheidung schlägt. Geh Du, ich warte hier auf Dich, sagt der Erkrankte. Nein, ich bleibe bei Dir, wir müssen zurück, und zwar sofort, sagt der Gesunde. Gemeinsam machen sich beide auf den Weg zurück, Schritt für Schritt den Berg hinab, der eine schafft es nur mit der Unterstützung des anderen. Bei Anbruch der Dunkelheit sind sie wieder im Basislager.
Das Gipfelglück ist vertagt, die Enttäuschung nicht zu leugnen. Macht nichts, dann eben beim nächsten Mal, sagt der eine. Das werde ich dir nie vergessen, sagt der andere.
Angela Selter