Die rote Feuerameise

Weitergezwitschert …tierisch franziskanisch (2)

Franziskus schaute vergnügt in die Runde. Zur heutigen Predigt waren wieder Scharen von Vögeln gekommen. Doch bevor er zu reden begann, hörte er seinen Gästen aufmerksam zu – er war ein exzellenter Zuhörer. Der Weißkopfseeadler berichtete ganz aufgeregt von den neuesten Ereignissen in den USA. Dass der neue Präsident ins Amt eingeführt worden sei. Dass erstmals eine Frau Vize-Präsidentin geworden sei. Dass der Präsident eine Antrittsrede gehalten habe, die mit ihrem Appell an Geschlossenheit und Einheit, an Würde und Anstand eher einer Predigt geglichen habe – so wie er sie von ihm, Franziskus, kenne. Dass eine junge dunkelhäutige Poetin ein wunderschönes Gedicht vorgetragen habe und ihr alle Herzen zugeflogen seien. Dass sie einen Ring mit einem Vogel in einem Käfig an ihrem Finger getragen hätte, ob Franziskus ihm wohl später einmal erklären könne, was das bedeute. Franziskus nickte.

Auf einmal erblickte er eine Ameise, die über den Saum seines Gewandes krabbelte. Vorsichtig hob er sie auf. „Schaut her“, sagte er, „die Ameise ist ein total interessantes Tier!“ Und so begann er zu predigen – über Zusammenhalt, Durchhaltevermögen und Solidarität. Wie viel wir von den Ameisen lernen können und wertvoll das alles ist, gerade jetzt in Zeiten von Corona. Die Vögel hörten ihm aufmerksam zu. Der Wortlaut der Predigt ist leider nicht überliefert. Doch wir sind auf Quellensuche gegangen und haben ein paar interessante Erkenntnisse gewonnen:

Faktencheck

Ameisen (Formicidae) sind eine Familie von Insekten, von denen es mehr als 13.000 verschiedene Arten gibt. Eine davon ist die rote Feuerameise. Wie alle Ameisenarten zeigt sie vorbildliche Solidarität: Wenn Feuerameisen durch eine Überschwemmung in Not geraten, verketten sie sich zu Flößen. Während das einzelne Tier ertrinken würde, überleben die Tiere, wenn sie eine Floßgemeinschaft bilden. Der Mensch macht sich die gefräßigen Raubtiere zunutze: Da ihnen beinahe alle Insektenarten schmecken, werden sie in der Landwirtschaft als wirksame Waffe gegen Schädlinge eingesetzt. Wer selbst Opfer ihrer Bisse wird, hat nichts zu lachen: Die Stiche sind schmerzhaft und brennen stark.                                                            

Fundstück aus dem Newsroom

Im November 2020 schaffte der erste Mensch mit Down-Syndrom den Ironman – die Triathlon-Langdistanz, bei der es gilt, 3,8 km zu schwimmen, 180 km Rad zu fahren und abschließend noch einen Marathon zu laufen. „Alles ist möglich“ lautet das Motto dieser Wettbewerbe. Genau das hat der 21-jährige Chris Nikic eindrücklich unter Beweis gestellt. Er meisterte die langen Distanzen, obwohl er aufgrund seines Down-Syndroms dabei noch mehr Herausforderungen bewältigen muss als seine Konkurrent:innen. Beispielsweise leidet er unter einem stark beeinträchtigten Gleichgewichtssinn. Unterwegs auf dem Fahrrad einen Schluck aus der Trinkflasche nehmen? Fehlanzeige – wenn er Durst hatte, musste er jedes Mal vom Rad absteigen. Dabei passierte es: Er trat in einen Ameisenhaufen und war sofort der Attacke einer besonders angriffslustigen Spezies ausgesetzt: der roten Feuerameise. Mit ihr ist nicht zu spaßen (siehe Faktencheck oben). So waren die Waden des Sportlers im Nu mit juckenden Bissen übersät und schwollen in kürzester Zeit unangenehm an. Doch er hielt das Iron-Man-Rennen durch, trotz alledem. Eine Geschichte, die Mut macht, nicht aufzugeben. Kein Traum ist zu groß, kein Ziel zu hoch gesteckt.

„Ach ja“, sagte Franziskus zum Abschluss zum Weißkopfseeadler, „Du hattest mich nach dem Ring der jungen Poetin gefragt. Ich habe nachgedacht. Ich vermute, dass sie sich damit vor der schwarzen Bürgerrechtlerin Maya Angelou verneigt hat. Deren Autobiographie trägt den Titel ‚I know why the caged bird sings‘ (Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt). Bestimmt will sie uns damit sagen: Verlernt nie den Traum der Freiheit und glaubt immer an das Unmögliche!“

Angela Selter

Foto: “IMG_1601.JPG” by psionicman is licensed under CC BY 2.0


Unter dem Titel „Weitergezwitschert“ wollen wir im franziskanischen Sinne Mitgeschöpfe aus unserer Umwelt in den Blick nehmen und unsere Beobachtungen mit Randbemerkungen zum Weltgeschehen anreichern. Die Beiträge erscheinen auch regelmäßig im Monatsbrief.
Folgende Beiträge sind bereits in dieser Rubrik erschienen: